20. 11. 2023

Hundertwasser und das menschliche Bedürfnis

Wie ein Schutzschirm wölbt sich heute eine Platane über dem Eingang der Hundertwasser-Toilette

Von dem sanitären Komfort, den wir hierzulande im privaten und öffentlichen Umfeld genießen können, können viele in den so genannten Ländern der Dritten Welt nur träumen. Der fehlende Zugang zu hygienischen Sanitäreinrichtungen gilt nicht zuletzt auch als eine Gefahr für die Weltgesundheit.

Insofern ist der Toilettengang, der dem Ausspruch „Ich muss mal“ folgt, in unseren Breiten in den seltensten Fällen Problem behaftet, auch wenn er gern mit schmückenden Worten wie „für kleine Königstiger“ tabuisiert wird. In anderen Teilen der Welt aber sieht es dagegen ziemlich düster damit aus. Für Jack Sim war diese Erkenntnis Anlass, 2001 nicht nur die „Restroom Association of Singapore“ und die „Welttoilettenorganisation“ ins Leben zu rufen, sondern auch den Welttoilettentag. Er legte dafür den 19. November fest. Für die Weltgemeinschaft aber schien das kein sonderlich dringendes Anliegen, denn erst 12 Jahre später, am 24. Juli 2013 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen reagiert und einstimmig den 19. November zum Welt-Toiletten-Tag als Welttag der Vereinten Nationen erklärt.

Hintergrund war das Fehlen ausreichend hygienischer Sanitäreinrichtungen für mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung und dadurch bedingt verschmutztes Wasser sowie dadurch ausgelöste Krankheiten, was gesundheitliche und sozio-ökonomische Folgen nach sich zieht. Mehr als 2,5 Milliarden Menschen leben laut Vereinten Nationen (UN) ohne eine ausreichende und hygienische Sanitärversorgung. Betroffen sind vor allem die ärmere Bevölkerung auf dem Land und Bewohner von Slums und schnellwachsenden Siedlungen in Städten. 2006 fand auch eine große Begleitveranstaltung zum Welttoilettentag in Bangkok unter dem Motto „Happy Toilet, Healthy Life“ statt.

Drei Prozent nationaler Ausgaben für Sanitär- und Wasserversorgung und gegen Korruption

Der Welttoilettentag ist mit der Forderung an nationale Regierungen verbunden, mindestens drei Prozent ihrer Ausgaben für Sanitär- und Wasserversorgung aufzuwenden, aber auch die Korruption im Wassersektor zu bekämpfen. Alleine durch Bestechung und Bestechlichkeit verschwinden, so wird geschätzt, zwei Milliarden US-Dollar jährlich in zweifelhaften Geldkanälen statt zur Lösung der Probleme beizutragen, etwa indem in alternative Sanitär- und Wassertechnologie investiert wird.

Eine Bilanz, inwieweit hier Fortschritte erzielt wurden, ist nicht bekannt. Allerdings ist in den Industrienationen das Bewusstsein nicht nur für die Optimierung der Hygiene „vor Ort“ deutlich gestiegen. Auch die Gestaltung der Örtlichkeiten hat mittlerweile einen höheren Stellenwert. Das gilt nicht nur für das private Umfeld, sondern auch für öffentliche Sanitäranlagen.

Hundertwasser als Grenzgänger zwischen Europa und Neuseeland

Selbst am Schmuddelruf der Toiletten an bundesdeutschen Autobahn-Rastanlagen wird mit mehr oder weniger Erfolg gearbeitet. Auch die Architektur nimmt sich diesem Metier an. Als ein besonderes Beispiel sind die 17 öffentlichen WC-Anlagen, die die Nippon Foundation anlässlich der Olympiade in Tokio 2021 bauen ließ und über die SKS in der Ausgabe 2.2022 berichtete. Sie wurden jetzt sogar Protagonisten in dem Kinofilm „Perfect Days“ von Wim Wenders, der in Deutschland im Dezember in die Kinos kommt (wir berichten ausführlich in der nächsten Print-Ausgabe im Dezember). Auf der Suche nach weiteren Beispielen besonderer WC-Kultur führte der Blick nach Down Under. Über 18 100 Kilometer von Berlin entfernt, in der Gilles Street 60, der Hauptstraße der Ortschaft Kawakawa auf der neuseeländischen Nordinsel, wurden wir fündig: Die öffentliche Toilette von Friedrich Stowasser, alias Friedensreich Hundertwasser.

Die Toilette wurde von dem Wiener Künstler, der von 1973 bis zu seinem Tod 2000 in Kawakawa lebte und auch die neuseeländische Staatbürgerschaft hatte, in dem für ihn typischen Stil mit geschwungenen Linien, unregelmäßigen Keramikfliesen, integrierten Kleinskulpturen, farbigen Gläsern und einem in die Architektur einbezogenen Baum gestaltet. Diese Toilette ist übrigens das einzige Hundertwasser-Gebäude auf der südlichen Hemisphäre. Eröffnet wurde sie 1999. Funktional unterscheidet sie sich nicht von anderen Bedürfnisanstalten. Anders als diese ist sie jedoch die Hauptattraktion von Kawakawa und die meistfotografierte Toilette Neuseelands. Die Zahl der fotografierenden Besucher übersteigt diejenige derer, die die Anlage als Toilette nutzen, bei weitem.

1998 wandte sich der Verein der örtlichen Kaufmannschaft an Hundertwasser mit der Bitte, die Umgestaltung des aus den sechziger Jahren stammenden Gebäudes zu übernehmen, nicht nur, weil diese morode war, sondern auch, um Kawakawa ein Zeichen Hundertwassers Kunst zu schenken. Wie überliefert ist, beteiligte sich Hundertwasser nicht nur an der Finanzierung, sondern legte bei der Umgestaltung selbst Hand an. Unter anderem gestaltete er eigenhändig die Säulen und setzte sie mit Keramik aus Asien zusammen. Eine Flaschenwand ließ er in Anlehnung an das „Bottlehouse“ auf seinem Anwesen gestalten. Auch für die Bewaldung des Daches sorgte er selbst. Für die Front des Gebäudes suchte er eine Platane aus, die jetzt gewissermaßen einen Schirm über dem Eingang bildet. Für die Rückseite wählte er einen Tulpenbaum. In die Gestaltung eingebunden waren auch Künstler der Maori und der Töpfer Peter Yeates.


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